Danke für die Eröffnung dieses Threads! Dann will ich auch mal:
Auch mir gefällt die neue Scheibe von Durchgang zu Durchgang besser. Nachdem ich am Anfang (insb. beim ersten Reinhören im Laden) völlig verwirrt war - obwohl ich die Stücke bereits zu diesem Zeitpunkt echt gut, aber irgendwie so völlig anders und unerwartet fand - brachten die nächsten Tage am PC, aber natürlich insbesondere das konzentrierte "Abhören" über die Anlage Aufschluss:
Dream Theater haben zwar (mal wieder) eine ziemliche Kurskorrektur vorgenommen - weg vom durchgängig harten Sound und dem teilweise schon Extremgefrickel der letzten Scheibe hin zu "mehr Song" - aber diesmal haben die Jungs wirklich mal alle Trademarks reingepackt, die sie jemals gesetzt haben: Die geniale Demonstration technischen Vermögens, die großartige Emotionalität, die ausnehmenden songwriterischen Fähigkeiten, die stimmige Einbindung teilweise schon überdeutlicher Zitate ihrer eigenen Vorbilder oder EInflüsse, die teilweise schon schmerzhafte Härte und, was diesmal neu dazu kommt, die absolut stimmige Kombination all dieser Eigenschaften! "Octavarium" ist m.E. das reifste Album der Band.
Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deshalb ist es aber über die komplette Länge spannend:
Nach dem (bis auf das fehlende Gefrickel) noch an die letzte beiden Platte erinnernden, harten und treibenden "The Root Of All Evil" (dem letzten (?) Teil des Portnoyschen Anti-Alkoholismus-Zyklus, bei dem andere Songs dieses Zyklus zitiert werden) schließt sich das zugegebener Maßen schmalzige, aber durchaus gefällige "The Answer Lies Within" an.
Danach erschrickt man aufgrund des schrammeligen Intros zu meinem persönlichen Lieblingssong des Albums: "These Walls"! Hart, dramatisch, emotional, hochmelodiös, großartig: Der Refrain, das darin gespielte Keyboard-Riff und LaBries gigantische Gesangsleistung bei diesem Stück gehört mit zum Besten, das ich jemals hören durfte!
Nach Dream Theater kommen dann U2

Naja, okay, "I Walk Beside You" erinnert im Refrain schon überdeutlich an die Iren, aber insgesamt ist das Stück schlicht und einfach ... besser als diese! Eine interessante und absolut bereichernde Rockvariante des Dream-Theater-Sounds.
Waren die ersten vier Stücke mittels Übergängen verbunden, folgt "Panic Attack" erst nach einigen Sekunden Stille. Aber dann aufgepasst: Hier haben wir eventuell den bislang härtesten Song der Band! Der Titel wird hervorragend musikalisch umgesetzt, und wir dürfen endlich mal wirklichem Gefrickel lauschen - so eingesetzt müssten Kritiker dieses Teils des bandtypischen Sounds eigentlich verstummen!
Im Anschluss das (nach Aussagen von Leuten die die Band kennen

) "Muse-Stück" der Platte. Wie stark hier "abgekupfert" wird (ich finde es übrigens lobenswert, dass DT es immer offen zugeben, von wem ihre Ideen eigentlich stammen...), kann ich leider nicht beurteilen, aber auch diese Neuerung ist interessant. Bislang bin ich mit dem Stück allerdings noch nicht so recht warm geworden.
"Sacrificed Sons" hingegen ist ein Song, das ich mittlerweile zu schätzen gelernt habe. Es fängt recht getragen an und "verhärtet" sich mim Verlauf. Auch hier wieder einige Frickel-Passagen, und die Stackatos ab 7:50 min sind einer meiner Lieblingsparts auf der Platte - absolut simpel, aber ungewöhnlich und wahnsinnig "in die Fresse"...
Zum glorreichen Abschluß der auf die Sekunde genau 24 Minuten lange Titeltrack, der mit jeweils etwa vierminütigen Floyd- und Genesis-Teilen beginnt. (Manch einer kritisiert diese Parts als zu lang(-weilig), ich kann mich diesem Urteil jedoch nicht anschließen und empfinde die Länge als genau richtig.) Im dritten Teil, der mit einem Keyboard-Solo eingeleitet wird, werden etliche Songtitel (und weiteres mehr) aus der Historie des anspruchsvollen Rock zu einem Text zusammengefügt - auch mal ganz interessant... Im Anschluß daran kommt der "Haupt-Frickelteil" des Albums - lediglich zwei Minuten kurz, knackig, komprimiert, und rappelvollgepackt mit interessanten Details (z.B. zwei Takte Flamenco-Gitarre). Großartig! Teil IV steigert sich dramatisch, der Text erinnert teilweise an ein Gebet, wird zu Beginn leise gesprochen und wird, es den Instrumenten gleichtuend, immer lauter, um in einem vierfach gekreischten "Trapped inside this Octavarium" seinen Höhepunkt zu finden!!! Teil V bildet einen versöhnenden, sehr bombastischen Abschluß des Tracks und auch der Platte. Interessant auch der letzte Satz: "The story ends where it begins" - Hinweis auf die Inhalte von "The Root Of All Evil", dessen Intro identisch ist mit dem Outro von "Octavarium"? Oder lediglich auf die nunmehr vollendete Oktave, die die Anfangstöne der acht Stücke des Albums bilden?
Alles in allem (endlich) mal wieder ein Album meiner Lieblinge, das nicht nur "gut" ist, sondern mich mitreißt, begeistert, auch mal zum Nachdenken anregt. Vielleicht ist die Platte auch deshalb so großartig, weil LaBrie es ist! DT funktionieren eben nureinwandfrei , wenn alle Teile einwandfrei funktionieren!
Ob das neue Album an die Großtaten anschließen kann wird die Zeit zeigen, den Kampf um einen Platz unter den ersten drei ist "Octavarium" jedenfalls angetreten.
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@Blap: Nur weil man eine Kurskorrektur der Lieblingsband nicht begeistert aufnimmt, heißt das noch lange nicht, dass man diese nicht nachvollziehen kann - ich kann die letzten beiden Scheiben durchaus "verstehen", und sie gefallen mir auch, aber völlig überzeugt war / bin ich halt nicht!
Wenn ich mir deine Worte zur "Images & Words" so durchlese - "Octavarium" könnte dir durchaus sehr gut gefallen!!!
Eine Sache ist mir (durch Blaps Statement) gerade noch aufgefallen: Kann es sein, dass Dream Theater zur Perfektionierung ihres Sounds immer ein paar Alben benötigen? Nach "Images & Words" kamen mit "Awake" und "Falling..." zwei doch recht andere Stilistiken - der Balanceakt zwischen Kühle und Emotionalität sowie ein manchmal rockiger Songstil - die in der "Scenes..." in den "alten" Stil intgriert wurden. Danach dann die "Six Degrees...", die unter anderem die Einflüsse anderer Bands widerspiegelte, und die "Train..." mit ihrer demonstrierten Härte. Und jetzt "Octavarium", die wiederum all dieses vereint...
Ich bin gespannt auf Album Nummer 11

I'd rather be called sour and bitter than be deemed the flavour of the weak. (M. Walkyier)