raw hat geschrieben:Och komm schon...

Das mit der Hörbarkeit einer "komischen Räumlichkeit" von phasenverschobenen Oberwellen war von vornherein für mich plausibel.
Dann hast Du Dich aber bisher (und auch in diesem Beitrag) gut verstellt
raw hat geschrieben:Aber! Die Oberwellen müssen dazu erstmal hörbar sein, bevor da auch was mit der Phase hörbar sein kann!
Jedes Instrument und jede Stimme produziert Oberwellen, der Grundton bestimmt nur den "gespielten Ton", die Struktur der Oberwellen bestimmt den individuellen Klang des Instrumentes. Bei Stimmen ist's noch komplexer, weil ein Teil der Oberwellen für die Lautbildung verantwortlich ist, ein Teil aber auch für die individuellen Charakteristika der Stimme.
D.h. wenn eine 12dB-Weiche bei 2 kHz trennt, dann ist bei einem Instrument mit 880Hz Grundton (also eine Oktave oberhalb vom Volkskammerton

) bereits die erste Oberwelle (n=2) um mehr ca 45 Grad verschoben, die zweite (n=3) um weit mehr als 90° ... die höheren sind völlig phasenverkehrt.
Ein Problem beim Reproduzieren dieses Experimentes mit einer echten Weiche in einer echten Box liegt darin, ein Geräusch zu finden, dessen Geräuschbild durch die Oberwellenstruktur besonders markant geprägt wird und welches in einer Tonhöhe spielt, dass dessen Grundton unterhalb der Phasendrehung liegt und die Oberwellen niederer Ordnung durch die Phasenschiebung am stärksten betroffen sind.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass man die Weiche einer echten Box nicht ändern kann, ohne andere Parameter mit zu ändern, sodass letzten Endes die Zuordnung von Ursache zur Wirkung eine Frage der Interpretation ist.
raw hat geschrieben:Erstaunlich finde ich, dass man hier schon Phasenverzerrungen von 10° hören kann.
Du hörst die Änderung! Dafür ist unser Ohr sehr empfindlich, denn Änderungen von Phasenverzerrungen sind ein Indiz für Veränderungen im Raum. Wenn Du Dich in einem normal "lauten" Raum befindest, dann kannst Du es auch hören, wenn sich Dir jemand lautlos nähert (sofern Du in der Lage bist, Dich genau DARAUF zu konzentrieren), weil sich durch den bewegten Körper im Raum die Schall-Ausbreitung geringfügig ändert, was erstmal vordergründig zu veränderten Phasenverzerrungen führt...
raw hat geschrieben:Ich habe jedoch z.B. bei Veränderung von K3-Phasenwerten auch stark hörbare Unterschiede in der Oberwellenstruktur hoher Ordnung vernommen.
Auch Das ist ganz natürlich! Eine n=3-Phasenverschiebung um 10° gegenüber der Grundfrequenz ist gleichzeitig eine 40°-Verschiebung gegenüber n=5.
Wenn Du die Kurven vergleichst, dann formen die Oberwellen bei korrekter Phasenlage jeweils eine
gemeinsame charakteristische Flankenform, ohne dass eine einzelne Oberwelle hervortritt. Durch die Phasenverschiebung von n=3 wird die gemeinsame Flanke aufgelöst und die höheren Oberwellen treten dadurch (bei gleicher Amplitude) deutlicher hervor.
raw hat geschrieben:Somit komme ich fast gar nicht in den Genuss von hörbaren Oberwellen - zumindest bei meinen nuBoxen.
Dann solltest Du einfach den Sinus-Generator wieder abschalten und ein bisschen Musik hören, dann klappt es auch wieder mit den Oberwellen
Anhand Deiner Formulierung wird aber (so vermute ich) Dein Denkfehler klar: Für Dich sind offensichtlich Oberwellen das Synonym für die nichtlinearen Verzerrungen. Damit bist Du aber auf dem Holzweg.
Die Oberwellen werden nur als Kenngröße zur Klirrfaktor-Messung herangezogen, denn wenn ich ein reines Sinus-Signal in ein System einspeise, dann ist der Anteil der Oberwellen am Ausgang des Systems ein Maß für die nichtlinearen Verzerrungen.
Wenn ich natürliche Geräusche höre, dann ist der Anteil der Oberwellen der gewollte Schall-Anteil, welcher den individuellen Klang des Geräusches ausmacht! Und je nach Charakteristik das Geräuschen können Phasenverzerrungen in der Oberwellenstruktur ein Indiz für eine veränderte Hör-Situation sein.
Aber nicht jedes Instrument formt tatsächlich eine Oberwellenstruktur, deren Phasentreue auch relevant ist. In einer Orgel z.B. werden die Oberwellen durch "Register" bestimmt, d.h. man aktiviert mit dem Register jeweils Pfeifen-Sätze, welche den Grundton und die zugehörigen Oberwellen des nachzubildenden Instrumentes jeweils durch separate Pfeifen erzeugen. Da die Pfeifen nicht synchronisiert werden können laufen die Oberwellen weder sauber synchron noch phasenrichtig; einer der Hauptgründe, warum das "Trompeten-Register" einer Orgel nie wie eine richtige Trompete klingen kann.
Eine echte "Missgeburt" (bzgl. dieser Thematik) ist übrigens die Hammond-Orgel mit ihrer zentralen "Tone Wheel", da werden alle Töne zwangsläufig völlig synchron erzeugt; einer der Hauptgründe dafür, dass die Hammond nie die Klang-Fülle einer Pfeifenorgel erreichen kann. Aber trotzdem kann die Hammond aus den synchron erzeugten Tönen keine korrekt klingenden Instrumenten-Register bilden, weil man die Phasenlage der Obertöne nicht entsprechend anpassen kann.
Der Fairness halber sei aber noch auf zwei Dinge hingewiesen:
1. Das Fourier-Applet ist nicht ganz fehlerfrei implementiert, die produzierten Geräusche enthalten eine Reihe von Oberwellen, die da anhand der eingegebenen Spektren definitiv nicht reingehören. Bei sauberer Implementierung wäre wahrscheinlich der Unterschied gerade bei sehr geringen Änderungen der Phase nicht so gravierend.
2. Das Fourier-Applet arbeitet mit einer sehr niedrigen Grundton-Frequenz (ca. 130 Hz), d.h. wir simulieren hier Phasenverschiebungen bei 260Hz (n=2) ... ca. 1,2kHz (n=9). D.h. die Oberwellen liegen im Bereich der max. Empfindlichkeit unseres Gehörs! Bei höheren Frequenzen (um z.B. das Phasenverhalten einer Weiche bei 2kHz zu simulieren) wäre der wahrnehmbare Effekt noch geringer.