nach dem Lesen etlicher Threads in diesem und anderen Foren, die zum Teil zu heftigen Auseinandersetzungen geführt haben ("Techies" kontra "Geschmackshörer"), möchte ich versuchen, hier eine sachliche Diskussion zu diesem Thema zu starten. Den wesentlichen Denkanstoß dazu gab mir ein Beitrag von US, den ich hier nur sinngemäß (und in dem Sinne, wie ich es verstanden habe) verwenden möchte.
raw hat ja erst kürzlich ähnliches versucht, der Ansatz den ich versuchen möchte, zielt aber in eine andere Richtung. Ich möchte nämlich versuchen, zu den scheinbar so konträren Standpunkten eine gemeinsame Wurzel zu finden, die dann auch eine sachliche Diskussion scheinbar "verfeindeter Fraktionen" ermöglicht.
Thesen:
Was ist das Ziel einer Wiedergabeanlage?
Die Reproduktion von "Software" (Musik, Heimkinoton, Bild).
Zu welchem Zweck erfolgt diese Reproduktion?
Zum Zeitvertreib, zur Unterhaltung, zum Wecken von Emotionen, zur persönlichen Erbauung. (Ich lasse die Aufgaben von Tontechnikern oder Redakteuren, die CDs, DVDs usw. auch technisch beurteilen sollen, bewusst außen vor.)
Hier liegt des Pudels Kern und m.E. auch die Ursache für so manches Streitgespräch.
Es macht doch keinen Sinn, sich darum zu streiten, welche Form der Wiedergabe die einzig richtige wäre.
Der "Gefühlshörer" sagt, ihm sei der technische Hintergrund egal, er wolle, dass die Anlage eben so klänge, dass es ihn einfach besonders anrührt.
Der "Techie" sagt, die Wiedergabeanlage ist kein Musikinstrument, sondern eine technische Einrichtung zur Reproduktion und damit sei die technische Ausrichtung klar: weitestgehend unverfälschte Darstellung (Neutralität) des Ausgangssignals.
(Das ist eine vereinfachte Darstellung, die nur die beiden Extreme in einer großen Bandbreite unterschiedlicher Auffassungen repräsentieren soll.)
Ich möchte aber wie schon gesagt nicht das trennende, sondern das gemeinsame dabei hervorheben.
Beide streben auf ihre Weise danach, Musik so zu hören, dass es ihnen Genuss bringt.
Nur versteht unter Genuss eben jeder etwas anderes. Und über Geschmack lässt sich trefflich, aber ergebnislos streiten. Es führt zu nichts, wenn ein Freund trockener Weine einem Freund süßer Weine erklärt, diese seien allesamt "Fehlkonstruktionen"; genausowenig Sinn macht es allerdings zu entgegnen, wer einen süßen Wein noch nicht probiert habe, dürfe nicht behaupten, dieser schmecke ihm nicht (schließlich kennt dieser seine trockenen Weine und hat eine Vorstellung davon, was "Süß" bedeutet). Wo also ist die gemeinsame Basis in einem Forum, das sich mit Hifi beschäftigt?
Eine gemeinsame Basis ist IMHO der Umstand, dass wir uns mittels einer technischen Apparatur (der Hifi-Anlage) und entsprechender "Software" einen persönlichen Genuss verschaffen wollen. Da unter diesem Genuss jeder etwas anderes versteht gälte es, eine gemeinsame Sprache zu finden. Solches ist in etlichen Threads in der einen oder anderen Weise natürlich schon angeklungen (ich erinnere mich bspw. an Malte, der hier klare Definitionen verlangt hat).
Diese Notwendigkeit klarer Definition besteht m.E. nicht nur zwischen den "Fraktionen" der "Techies" und "Geschmackshörer", nein, ebenso haben die "Geschmackshörer" untereinander das Problem, sich gegenseitig verständlich zu machen, was es denn nun genau ist, weswegen ihnen etwas besonders gut gefällt.
Dabei geht es IMHO weniger darum, ob man nun in jedem Falle klar unterscheidbar formuliert, ob man eine "Tatsache" oder einen Eindruck beschreibt. Wenn jemand überschwänglich den Klang einer Box oder einer Aufnahme als "ist gut/klingt gut" und nicht als "finde ich gut/ich finde, es klingt gut" beschreibt, so weiß doch trotzdem jeder, dass hier eine subjektive Beschreibung gegeben wird.
Es ist aber m.E. schwierig bis unmöglich, aus subjektiven Hörberichten einen Erkenntnisgewinn zu ziehen. Versucht doch mal, einem Blinden zu erklären, was "Blau" ist.
Am ehesten mag dies noch bei der Schilderung eines Hörvergleiches möglich sein, insbesondere wenn man eines der verglichenen Geräte selber kennt. Aber auch dann braucht es Definitionen, denn wenn man sagt "Das Blau von A ist blauer als das Blau von B", muss trotzdem beiden Seiten klar sein, was unter "Blau" zu verstehen ist.
Und damit komme ich zu dem Beitrag von US, der mich so angesprochen hat.
Uwe meinte sinngemäß, man solle sich Messwerte und zugehörige Höreindrücke klar machen, sich auf diese Weise also eine Vorstellung davon verschaffen, wie sich bestimmte Abweichungen vom Ausgangssignal ("Wiedergabefehler") anhören, um dann für sich feststellen zu können, welche Abweichungen dem eigenen Geschmack entgegenkämen und welche als störend empfunden werden.
Die wenigsten tun dies, und so kann man jahrelang "Zeug" kaufen und wieder verkaufen, ohne dass einem klar wird, welche technischen Voraussetzungen eine Anlage haben müsste, um den eigenen Hörgeschmack zu treffen. Man kann Anlagen ja auch nicht "neutral vergleichen", sondern hinzu kommt ja immer noch die verwendete Aufnahme, die bestimmte Abweichungen vom Ausgangssignal als angenehmer oder unangenehmer erscheinen lässt.
Uwes Ansatz erscheint mir sinnvoll, ich muss aber zugeben, dass ich noch nicht so recht weiß, wie ich mir diese Eindrücke verschaffen kann.
Welche technischen Voraussetzungen sind erforderlich?
Wie interpretiere ich Messwerte richtig?
Wo finde ich Lesestoff hierzu, den ich ohne komplexe Mathematik verstehen kann?
Gäbe es noch andere Möglichkeiten (ohne Messungen), sich den Höreindruck von Wiedergabefehlern zu verdeutlichen?
Das wären doch Fragen, wo sich "Techies" und "Geschmackshörer" gegenseitig weiterhelfen könnten; der "Techie" bspw. bei der Definition von Begriffen, der Geschmackshörer bspw. mit der Schilderung seiner Eindrücke und Vorstellungen unter Verwendung definierter Begriffe.
Eine Bereitschaft der "Techies", Hörvorlieben abseits perfekter Neutralität zu akzeptieren, wäre genauso hilfreich wie die Bereitschaft der "Gefühlshörer", sich zumindest ein bisschen mit den technischen Grundlagen der Geräte zu beschäftigen, die ihm den gewünschten Hörgenuss verschaffen sollen.
Natürlich findet das in dieser und ähnlicher Form ja auch statt, ich habe nur den Eindruck, dass solche Grundsätze in manchen bewegten Diskussionen gelegentlich aus dem Blickfeld geraten.
Das ist nun doch ein ziemlich langer Text geworden, was eher ein schlechtes Zeichen ist: Es ist mir nicht gelungen, mein Anliegen noch präziser zu abstrahieren

Mit internetten Grüßen
Gerald Vogt