Weyoun hat geschrieben:CarlTheodor hat geschrieben:Könnt Ihr mir mal bitte beschreiben, was für Euch die Qualifikation eines Volksvertreters ausmacht ?
1) Fachlich was auf dem Kasten haben (eine gute Sicht auf das Weltgeschehen) => Altkanzler Schmidt ist hier ein gutes Beispiel (heute noch!)
2) Offen für Vorschläge aller Art von den wahren "Spezialisten" ihres Faches (somit also einsichtig und kompromisbereit sein)
3) Die Gabe haben, seine Ansichten so zu verteten, dass das Volk den Eindruck hat, dass es der Person wirklich um das Wohl der Allgemeintheit geht (Schröder war so ein Kanzler)
4) Seine Ansichten auch bei großem Widerstand weiterhin standhaft verteten (inkl. gewisser Kompromissbereitschaft), sonst kommt schnell der Gedanke vom "Wendehals" auf
5) Ein gewisser "Machertyp" sein, der die Fähigkeit hat, das Volk zu mobilisieren (Stichwort schwache Wahlbeteiligung und Politkverdossenheit) und dass das Volk den Eindruck erhält, da geht doch noch was in der Politik
6) Bitte nicht falsch verstehen: In vielen westlichen Ländern mag ja der Putin ein halber Diktatur und Despot sein, aber seltsamerweise lieben ihn die Russen. Sie haben ein anderes Bewuststein und Verständnis für Politik. Ich will damit nicht sagen, dass wir einen Putin brauchen, auf keinen Fall! Aber er besitzt nun mal einige Tugenden, die ihn beim Volk populär machen und im Volk den Eindruck entstehen lassen, "Der tut was für UNS".
Aber wie gesagt, wir brauchen natürlichen keinen reinen Populisten.

Abgesehen von Ziffer 6 kann ich das alles unterschreiben. Wobei Ziffer 1, das Fachliche, ein schwieriger Punkt sein wird. Kein Mensch dieser Welt kann fachlich in allen - immer mehr werdenden - Fachrichtungen gut sein. Insofern ist es auch für einen Politiker heute unmöglich, von allen Fachressorts, die politisch gestaltet werden, eine Ahnung und zu allem eine Meinung zu haben. Insofern habe ich das vollste Verständnis dafür, dass die Fraktionen sich größtenteils auf die Einschätzungen Ihrer Fachpolitiker verlassen (müssen). Das führt zu Ziffer 2 - auch das klingt für sich gut, jedoch gibt es zu fast jeder Expertenmeinung auch eine Gegenmeinung. Oder zu einer eindeutigen Expertenmeinung aus einer Fachrichtung gewichtige Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen auf andere Gebiete bei Umsetzung dieser Empfehlungen. Durchdekliniert am Beispiel Energiewende: Umwelt- und Klimaexperten sind sich (fast vollständig) einig, dass wir einschneidende Maßnahmen treffen müssen, um den Klimawandel wenigstens noch erträglich in seinen Auswirkungen zu halten. Also brauchen wir einen schnellstmöglichen Ausbau der erneuerbaren Energien und einen entsprechenden Umbau der Stromnetze. Soweit, so gut. Nun kommt aber die Industrie und sagt, das ist zu teuer, schadet im internationalen Wettbewerb und kostet Arbeitsplätze. Die Sozialpolitiker kommen und weisen darauf hin, dass das den Stromkunden nichts kosten darf, weil sonst bei armen Leuten das Licht ausgeht. Landschaftsschützer sind gegen neue Stromtrassen, Speicherseen für Pumpspeicherwerke oder Windräder. Mieterverbände kämpfen gegen steigende Mieten aufgrund energetischer Sanierungen (verschweigen aber die Einsparungen bei den Energiekosten). Hinzu kommen noch die Drohkulissen beliebiger Lobbygruppen der einen oder anderen Seite, die im Kern nur Ihre eigenen Interessen verfolgen ? Was ist also jetzt die richtige Entscheidung ? Was tut der "einsichtige und kompromissbereite Politiker", den Du beschreibst ?
Ich denke, dass die Findung der "richtigen" Entscheidungen in unserer immer komplexer werdenden Welt mittlerweile so schwierig und komplex ist, dass es sehr leicht ist, abstrakt auf die angeblich unfähigen, korrupten und faulen Politiker zu schimpfen, aber sehr schwierig, sich in deren Haut hineinzuversetzen.
Von Ziffer 3 wünsche ich mir eigentlich mehr.
Auffällig ist, dass Du fast nur "Soft Skills" aufzählst, was mich in meiner Auffassung bestätigt, dass es keine allgemein gültige Definition des "qualifizierten" Politikers gibt. Klar ist auch, dass es nur sehr wenige geben wird, die alle genannten Eigenschaften in sich vereinen.
Aber: Ich nehme unseren Abgeordneten zu 95 % ab, dass sie das, was sie tun und entscheiden, aus Überzeugung und nach bestem Wissen und Gewissen tun.
Ob immer das richtige Ergebnis dabei herauskommt, hängt bei Betrachtung aus der Gegenwartsperspektive vom politischen Standpunkt ab. In Zukunft werden darüber Historiker urteilen.
Gruß CT